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Hier kommen die Brüder Grimm in der Jetzt-Zeit an: Künstlerisch, interaktiv und multimedial vermittelt.

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Eine Nacht im Museum

Silvia Ballestra – Nachts allein in der GRIMMWELT

Silvia Ballestra sitzend auf der Treppe in der GRIMMWELT

Die italienische Bestseller-Autorin Silvia Ballestra hat sich auf Einladung ihres Verlages Editora Laterza auf ein besonderes Experiment und Abenteuer eingelassen: Sie hat die Nacht auf den 8. März in der GRIMMWELT in Kassel verbracht und wird über ihre Erfahrung schreiben.

In einem amerikanischen Blockbuster mit Starbesetzung aus dem Jahr 2006 wird aus einem Naturkundemuseum nachts ein magischer Ort. Dann nämlich erwachen dort unter anderem der Tyrannosaurus Rex und Attila der Hunnenkönig auf magische Weise zum Leben und pflügen einen Pfad der Verwüstung durch die Marmor-Korridore. ›Nachts im Museum‹ heißt der Film mit Ben Stiller und Robin Williams in den Hauptrollen, der den italienischen Verlag »Laterza« zu einer Buchreihe mit gleichem Titel inspirierte.

Die Idee: Unterschiedliche italienische Autoren werden jeweils eine Nacht in einem Museum ihrer Wahl verbringen und über ihre Erfahrung schreiben und sich von dem besonderen Ort, den sie ausgewählt haben, inspirieren lassen.

Schlafen wird die italienische Autorin Silvia Ballestra vermutlich nicht, wenn sie die Nacht auf den 8. März in der GRIMMWELT in Kassel verbringen wird. Im Gegenteil, sie will arbeiten und »eintauchen in diese exklusive Atmosphäre, die durch die Dimension der Nacht noch magischer wird«, wie sie sagt. Und wer hat sich das nicht schon einmal gewünscht, ein Museum ganz für sich allein zu haben - und dann auch noch mitten in der Nacht? »Dieser Traum, einmal einen Ort in Einsamkeit zu genießen, wird noch verstärkt durch die Idee, solch eine spezielle Ausstellung für viele Stunden ganz für einen selbst zu haben«, sagt die 54-Jährige.

Und was für einen perfekten Ort sich die Autorin für ihre nächtliche Exkursion ausgesucht hat. Denn wo kann man besser in die magische Welt der Nacht eintauchen als in einem Museum, das sich ganz den Märchen der Brüder Grimm und ihrem Werk widmet? Genau das war es, was die Autorin reizte, eine Nacht in Kassel zu verbringen.

Es war ein regnerischer Tag im Winter, als sie die GRIMMWELT für sich entdeckte. Ballestras Sohn studiert in Göttingen, und nachdem sie ihn nach den Weihnachtsferien dorthin zurückbegleitet hatte, stieß sie auf dem Rückweg zu ihrer Familie nach Mailand, auf das Museum in Kassel. »Ich war von dem Konzept beeindruckt, ein Museum ganz dem Schaffen von zwei Autoren und Linguisten zu widmen«, sagt sie. »Die Idee, das Museum um Wörter herum zu strukturieren, fand ich einfach fantastisch.«

Als sie dann die Anfrage des Verlages bekam, ob sie an der Reihe teilnehmen und über ein Museum ihrer Wahl schreiben wolle, war ihre Entscheidung schnell getroffen. Die GRIMMWELT schien ihr der perfekte Ort für ihre Studien zu sein.

Ballestra, die seit 1991 über 20 Bücher veröffentlicht hat, darunter Romane, Kurzgeschichten und Essays, für Zeitungen schreibt und Bücher aus dem Französischen übersetzt, möchte sich in ihrer Nacht im Museum und bei ihrer Recherche auf zwei Aspekte konzentrieren: Die Arbeit der Brüder Grimm als Gelehrte und Autoren und auf die weibliche Perspektive in den Märchen der Brüder Grimm. »Diese beiden Aspekte sind mir am nächsten. Besonders die weibliche Perspektive ist immer noch ein heiß diskutiertes Thema«, sagt Ballestra. In Italien habe es erst vor Kurzem eine Diskussion über die Heldinnen in Märchen gegeben, ausgelöst durch die Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin Paola Cortellesi. Während einer Rede über das Patriarchat verurteilte sie die Reproduktion von Stereotypen in Märchen, wenn beispielsweise die naive Heldin dank des Einschreitens eines Prinzen gerettet wird. »Es war ein Witz, aber es hat eine Debatte über Schneewittchen als Haushälterin der sieben Zwerge und Cinderella als Opfer von weiblicher Eifersucht ausgelöst«, erzählt Ballestra.

Frauen in Märchen sind entweder gut oder böse. Ballestra interessieren beide Aspekte. Zum einen die schöne und gute Heldin, die in den Märchen Probleme mit Einfallsreichtum und Mut löst, und auf der anderen Seite die böse Hexe, die das Böse schafft und antagonistische und unterdrückte Kräfte darstellt, wie die Autorin es ausdrückt. »Meist sind es ältere Frauen, die von der Gesellschaft marginalisiert und letztlich in schrecklicher Art und Weise bestraft werden.« Für Ballestra stellen sich in diesem Zusammenhang viele Fragen: Wer sind diese Frauen wirklich, was sagen sie uns und welche Beziehungen führen sie mit Männern, aber ganz besonders mit anderen Frauen? Und wie lesen wir all das aus der heutigen Perspektive?

Aber natürlich will die italienische Autorin auch in das »Deutsche Wörterbuch« eintauchen und in die Arbeit der Brüder Grimm an diesem Monumentalwerk. Besonders angetan haben es Ballestra die Zettel, auf denen Jacob und Wilhelm Grimm ihre Notizen machten. Allein für den Begriff ›Zettel‹ gibt es 1119 Anmerkungen, die in der GRIMMWELT ausgestellt sind. »Die Idee, diese Notizen auszustellen, beginnend mit dem Wort Zettel, war erhellend für mich«, betont die Autorin. Für ihre Arbeit sei das Wörterbuch das wichtigste Arbeitsutensil, gerade auch, um die Herkunft und Geschichte der Wörter und ihre Bedeutungen zu erforschen und um Dinge präzise beschreiben zu können. Sie sei schon immer sehr angezogen gewesen von Wörtersammlungen sowie den Nuancen und der Bedeutung von Wörtern. Aber das Werk der Grimms sei noch mal eine ganz andere Dimension. »Die Geschichte des »Deutschen Wörterbuchs« ist verrückt, gewaltig und eine jahrzehntelange Anstrengung, an der wahnsinnig viele Menschen beteiligt waren.«

Die Kasseler GRIMMWELT steht jetzt in einer Reihe mit Sankt Petersburg und Pompeji. Bereits erschienen ist ein Buch des Schriftstellers Paolo Nori, der eine Nacht im Russischen Museum in Sankt Petersburg verbracht hat. Ballestras Buch wird das zweite in der Reihe des Verlags sein, danach folgt eine Nacht in Pompeji, an der ein weiterer Kollege derzeit arbeitet.

Den Film ›Eine Nacht im Museum‹ hat Silvia Ballestra vor vielen Jahren gesehen. Die Idee, statische Ausstellungsstücke zum Leben zu erwecken und Geschichten dadurch real werden zu lassen, sei wunderbar. »Was könnte märchenhafter sein?«. Obwohl eine Sache noch märchenhafter für sie sei: »Wäre ich jemals in einem Wald verloren gegangen und hätte ein Lebkuchenhäuschen gesehen, ich wäre sofort hineingerannt«, gesteht die Autorin. Sie sei ziemlich leidenschaftlich, wenn es um Süßes gehe. Die Idee eines Hauses, das komplett aus Süßigkeiten bestehe, habe bei ihr schon immer Entzücken hervorgerufen. Kein Wunder also, dass Hänsel und Gretel ihr Lieblingsmärchen ist.

Von Amira El Ahl

Vita Silvia Ballestra

Silvia Ballestra ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen Italiens: Geboren in der Region Marken, lebt und arbeitet sie seit vielen Jahren in Mailand. Zu ihren Romanen gehören: La guerra degli Antò; Compleanno dell'iguana, Gli Orsi, Nina, I giorni della Rotonda, La nuova stagione. Ihr neuestes Buch, La Sibilla, Vita di Joyce Lussu (Editori Laterza, 2022), wurde mit großem Erfolg aufgenommen und kam in die engere Auswahl der renommiertesten italienischen Buchpreise wie Premio Campiello und Premio Strega. Außerdem erhielt es mehrere wichtige Auszeichnungen wie den Comisso-Preis, den Pozzale-Preis, den Napoli-Buchpreis und den Brancati-Preis - um nur einige zu nennen.