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Ein Gruppe von Menschen wird durch die Ausstellung geführt.

Heute | 15.00 Uhr

Die GRIMMWELT von A-Z

Dauerausstellung

Mutter und Kind schauen sich Märchenbücher im Bereich VOLKSMÄRCHEN an.

Erlebnisraum GRIMMWELT

Hier kommen die Brüder Grimm in der Jetzt-Zeit an: Künstlerisch, interaktiv und multimedial vermittelt.

  • Sonderausstellung

Der Traum vom Fliegen. Ästhetische Bildung in musealen und virtuellen Welten

Kooperationsprojekt der Universität Kassel (Institut für Musik, Fachgebiet Ästhetische Bildung), des Interactive Design Studio A.MUSE und der GRIMMWELT Kassel

Der Traum vom Fliegen begleitet die Menschen schon lange. Er ist Ausgangspunkt zahlreicher Erfindungen und Meilensteine der Technikentwicklung und tritt als Motiv in der Mythologie und in Märchen auf, wie zum Beispiel in der Geschichte vom »Trommler« aus dem gleichnamigen Grimm’schen Märchen. Dieser wünscht sich Flügel, um auf den Glasberg zu gelangen und die Königstochter zu erlösen. Mit dem Fliegen werden unterschiedliche Wünsche verbunden: Hindernisse und weite Strecken in kurzer Zeit zu überwinden, in neue Sphären vorzudringen und das Gefühl der Schwerelosigkeit oder Freiheit zu erleben.

Die Sonderausstellung der GRIMMWELT – »unMÖGLICH? Die Magie der Wünsche« (24.11.22 - 11.06.23) – lädt ihre Besucher*innen ein, abzuheben, in virtuelle Landschaften einzutauchen und so ganz neue Perspektiven einzunehmen. Der Traum vom Fliegen wird hier dank der Installation »Swing VR« des Interactive Design Studio A.MUSE wahr.

Die Potentiale dieser Virtual Reality-Installation wurden im Wintersemester 22/23 von Studierenden des Lehramts und des Studienprofils Kulturelle Praxis an Schulen (KuPra) beforscht. Sie trafen sich zu den Seminarterminen in der GRIMMWELT, besuchten die Ausstellung, tauschten sich über ihre Erfahrungen sowie mit den Künstlerinnen von A.MUSE und den Mitarbeiter*innen der GRIMMWELT aus, um schließlich die Besucher*innen der Ausstellung zu ihrem VR-Erlebnis zu befragen. Die so gewonnenen Daten wurden vor dem Hintergrund folgender Fragen diskutiert: Wie lässt sich Virtual Reality für körperliches, nonverbales, sinnliches Erleben in Ausstellungen nutzen? Welche spezifischen Erfahrungen werden dadurch möglich? Wie lässt sich ästhetische Bildung mit Hilfe von VR gestalten? Die Kooperation bot Gelegenheit für den Austausch zu solchen Fragen an der Schnittstelle von Bildung, Kunst, Design und Technologie. Die Verknüpfung dieser Perspektiven und Expertisen ist schließlich notwendig, um die Potentiale technologischer Entwicklungen für (ästhetische) Bildung nutzen zu können.

Fantastische Welten

Als Grundlage für die Diskussion dient die Befragung der Besucher*innen zu ihrer Erfahrung mit VR. Dabei stellt sich natürlich auch die Frage, was »Virtual Reality« überhaupt ausmacht.

Die lateinische Wurzel »virtus« kann mit »Tugend« übersetzt werden, was wiederum mit dem »Göttlichen« in Verbindung gebracht wird, mit Gottes Macht, Kraft – und damit einhergehend mit der Erschaffung von Welten (vgl. Niewerth 2018: 84; vgl. auch Eintrag zu »tugend« im Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, https://www.woerterbuchnetz.de).

Auch wenn es die derzeitige Begriffsverwendung meist nahelegt, muss es sich dabei nicht um digitale Welten handeln, sondern vor allem um fantastische, künstliche Welten, um Fiktionen und Möglichkeitsräume (vgl. Kasprowicz/Rieger 2020: 5f.). Die so erschaffenen Welten dienen oft als Projektionsfläche für Utopien, für Hoffnungen auf Veränderungen, Perspektivwechsel, neue Formen der Partizipation, ebenso wie für Ängste vor Veränderungen und Realitätsverlust – in welchem Medium sie auch erscheinen, vergleichbare Diskurse brachte das Buch ebenso mit sich wie der Film (vgl. Kasprowicz/Rieger 2020: 3). Für den musealen Kontext eröffnet sich durch VR-Anwendungen die Möglichkeit, die Auseinandersetzung mit den ausgestellten Themen und Exponaten durch (digitale) virtuelle Ebenen vielfältiger und vielstimmiger zu gestalten (vgl. Niewerth 2018: 84).

Sonderausstellung unMÖGLICH | Die Magie der Wünsche | Swing VR © A.MUSE

mehr Erlebnisspielraum

Diese Einschätzung bestätigte sich in der Umfrage. Die Besucher*innen wurden beispielsweise gefragt, ob sie sich mehr VR-Anwendungen in Ausstellungen wünschen. 62 der 74 Befragten bejahten das und ihre Begründungen dafür verraten, welche Potentiale sie darin sehen:

Es biete »zusätzliche Perspektiven« und eröffne »den Blickwinkel für Neues«, »einen neuen/anderen Zugang«, »mehr Erlebnisspielraum« und die Möglichkeiten, »vieles attraktiver darzustellen«. Es würde »Dinge schaffen, die sonst nicht möglich sind«, »andere Erfahrungsräume«. Man könne »in andere Welten abtauchen« bzw. »andere Welten veranschaulichen« und »interessante Sachen verdeutlichen«. Das Erlebnis sei »intensiv«, ermögliche »Grenzüberschreitungen« und »rege die Vorstellungskraft an«. Die Ausstellung werde noch »greifbarer« und »nahbarer«. Schließlich wurden auch die »eigene Beteiligung« und »aktive Teilnahme« betont. Es sei eine »besondere Erfahrung«, »mal etwas anderes«, »biete mehr Abwechslung«.

Das gilt vermutlich umso mehr, da die Mehrheit der Befragten zuvor noch keine Erfahrung mit VR gemacht habe (49 von 74).

Horizonterweiterung

Eine ähnlich große Mehrheit (48 von 74) würde noch einmal schaukeln. Begründungen hierfür sind zum Beispiel:

»Alltag entfliehen«, »neue Wahrnehmungen«, »tolles Gefühl«. Die »beruhigende« Wirkung wird genannt und der Wunsch, alles noch »genauer beobachten« zu können, da es »viel zu entdecken« gebe und man »nicht alles gesehen« habe. Andere wiederum verneinen die Frage mit der Begründung, dass das einmalige Schaukeln »ausreiche« – oder aber »Unwohlsein« oder »Höhenangst« eingetreten sei.

Auch wenn einige Swing VR nicht selbst noch einmal nutzen würden, so würde doch eine ganz klare Mehrheit das Erlebnis weiterempfehlen (73 von 74) – gerade weil es ein »ungewohntes«, »neues«, »aufregendes« Erlebnis sei, das »unter die Haut gehe« und man ausprobieren sollte, »einfach des Probierens wegen«. Es sei aber nicht nur spannend, sondern auch ein »hoher Entspannungsfaktor«, auch »lustig« und »so schön unwirklich«, »fantastisch«, eine »Anregung der Fantasie« und »Horizonterweiterung«. Das »Gefühl der Leichtigkeit, Schwerelosigkeit« und das Gefühl, »durch die Luft zu fliegen«, wird genannt sowie ein »immersives Erlebnis«, »weil man in eine andere Welt eintaucht«.

Gänsehaut

Der immersive Charakter entsteht bei Swing VR vor allem durch die besondere Kombination der Sinneseindrücke in der virtuellen Realität mit den haptischen und physischen Eindrücken des Schaukelns. Auffällig sind in den Umfrageergebnissen die vielen körperlichen Erfahrungen der Besucher*innen:

Vom »Gefühl der Schwerelosigkeit« über »Gänsehaut« und »Bauchkribbeln«, »schwitzige Hände« und »Schwindel«, auch »Übelkeit«, »Höhenangst«, »Herzklopfen«, »erhöhter Pulsschlag« bis hin zu »Verkrampfung« einerseits, »Grinsen« und »Lachen« andererseits, sowohl »Unwohlsein« als auch ein »wohliges Gefühl«. Die Anzahl, die Vielfalt und auch Ambivalenzen der Antworten weisen auf die Intensität des körperlichen Erlebens hin. So erweist sich gerade die virtuelle Welt als Möglichkeitsraum für ganz spezifische, körperliche Erfahrungen in der Ausstellung (vgl. dazu Kasprowicz/Rieger 2020: 8).

VR und Bildung

Im Laufe des Seminars und angesichts der Umfrageergebnisse diskutierten die Beteiligten den Einsatz von VR im Schulunterricht, um besondere – und scheinbar unmögliche – Erfahrungen zu ermöglichen, zum Beispiel das Weltall zu besuchen, aber auch Dimensionen und Relationen zu veranschaulichen. Das bietet sich gerade bei besonders abstrakten Lehrstoffen an.

Der immersive Charakter und die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Sinneseindrücken haben das Potential, die Aufmerksamkeit und Konzentration in spezifischer Weise auf die Lerninhalte zu lenken. Um tatsächlich Bildungsprozesse anzuregen, bedarf es einer entsprechenden Vor- und Nachbereitung – wie es generell auch für Ausstellungsbesuche gilt. Eine gut geplante und sinnvolle Einbettung sei hier entscheidend.

Die Durchführung der Umfrage erwies sich selbst auch als eine Form der »Nachbereitung«, als Gelegenheit für die Reflexion des VR-Erlebnisses, und stieß bei den Besucher*innen auf entsprechende Bereitschaft zur Teilnahme. Gerade in der Reflexion liegt auch bei der Arbeit mit den Schüler*innen eine große Chance, um sowohl Verständnis und ein Gefühl für die Technik als auch kritische Haltungen zu entwickeln. In der Befragung zeigten sich unterschiedliche Haltungen, sowohl Neugier als auch Vorbehalte gegenüber VR: Das Interesse sei durch das VR-Erlebnis gestiegen, die Skepsis gemindert, es blieben Bedenken beispielsweise in Bezug auf den Realitätsverlust, die »Angst vor der Entkopplung der Welt«, oder auch auf die Macht von Privatkonzernen.

Außerschulische Lernorte und ästhetische Erfahrungen

Ein außergewöhnliches und intensives VR-Erlebnis kann im Schulunterricht hilfreiche und wichtige Denkanregungen bzw. Gesprächsanlässe bieten.

Die vielfältigen ästhetischen, d.h. sinnlichen und körperlichen Erfahrungen in musealen und virtuellen Welten tragen zu einem nachhaltigen Eindruck und damit auch zu erhöhtem Interesse und Gesprächsbedarf bei. Dabei geht es nicht nur um die Inhalte der virtuellen Welten wie beispielsweise den Ausflug ins Weltall, sondern auch darum, was diese Erfahrungen (langfristig) bewirken, wie sich die technischen Möglichkeiten auf die Wahrnehmung der Welt(en) und den Umgang mit unterschiedlichen Medien auswirken (vgl. dazu Brandstätter 2013/2012).

Großer Dank gilt den Studierenden, Kooperationspartner*innen sowie allen Besucher*innen, die sich an der Umfrage beteiligt haben!

Ursula Brandstätter (2013/2012): Ästhetische Erfahrung. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: https://www.kubi-online.de/art

Kasprowicz, Dawid/Rieger, Stefan: Einleitung. In: Dies. (Hrsg.): Handbuch Virtualität. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 2020. S. 1-22

Niewerth, Dennis: Dinge – Nutzer – Netze: Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen. Bielefeld: Transcript, 2018. S. 78f.

Frau sitzt auf Schaukel mit VR-Brille
Sonderausstellung unMÖGLIC, Mann schaukelt in der Ausstellung
Frau mit VR-Brille, sitzt auf Schuakel in der Sonderausstellung