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Gruppenführung in der Sonderausstellung

20. Sep. | 15.00 Uhr

»Ich, das Tier«

Sonder­ausstellung

ICH DAS TIER Sonderausstellung GRIMMWELT Kassel

ICH, DAS TIER

Vom 23. August 2025 bis zum 12. April 2026 begibt sich die GRIMMWELT mit dem Kurator und Comic-Experten Dr. Alexander Braun auf die Spuren anthropomorpher Tierfiguren in der Comic-Kultur und Illustrationsgeschichte mehrerer Jahrhunderte.

Dauerausstellung

Mutter und Kind schauen sich Märchenbücher im Bereich VOLKSMÄRCHEN an.

Erlebnisraum GRIMMWELT

Hier kommen die Brüder Grimm in der Jetzt-Zeit an: Künstlerisch, interaktiv und multimedial vermittelt.

  • GRIMMWELT

»Das Werk der Brüder Grimm im Spannungsfeld antijüdischer Stereotype und antisemitischer Vereinnahmung«

Tagung der Universität Kassel und der GRIMMWELT Kassel

Ein Blick auf die GRIMMWELT und den Weinbergpark.

Am 20. und 21. Juni 2025 fand in der GRIMMWELT Kassel die Fach-Tagung »Das Werk der Brüder Grimm im Spannungsfeld antijüdischer Stereotype und antisemitischer Vereinnahmung« statt. Die Tagung wurde von Prof. Dr. Holger Ehrhardt, Fachgebiet »Werk und Wirkung der Brüder Grimm« an der Universität Kassel, gemeinsam mit der GRIMMWELT Kassel, organisiert.

Die Tagung widmete sich dem in der Grimmforschung bisher weitgehend übergangenen Thema des romantischen Antijudaismus sowie seiner politischen und ideologischen Vereinnahmung im 20. Jahrhundert. Zunächst sollte sich dem Thema durch einen Blick auf den geistes- und wissenschaftsgeschichtlichen Kontext, auf soziologische Zusammenhänge sowie auf die Rezeption jüdischer Quellen im Werk der Brüder Grimm wissenschaftlich genähert werden. Im zweiten Tagungsblock stand die antisemitische Instrumentalisierung des Werks der Brüder Grimm im Fokus, wobei auch hier die internationale Rezeption am Beispiel Polens, der USA und Japans näher betrachtet wurde. Schließlich sollte ein Blick auf die derzeitige Ausstellungspraxis zeigen, wie Literaturhäuser mit den Themen Antijudaismus und Antisemitismus umgehen.

Der erste Themenkomplex der Tagung widmete sich dem Bereich »Antijudaismus im romantischen Kontext«. Den Eröffnungsvortrag hielt Prof. a.D. Dr. Ulrike Haß vom Institut für Germanistik an der Universität Duisburg-Essen. In ihrem Vortrag zum Thema Zur Rolle der Juden in der Nationalphilologie bei Jacob und Wilhelm Grimm, beleuchtete sie die Bedeutung der Juden und jüdischen Kultur in der Arbeit der Brüder und in ihren Vorstellungen von Volk. Darin wurde deutlich, warum Juden in der Nationalphilologie der Brüder Grimm kaum eine Rolle spielen. Zur jüdischen Stadtgesellschaft um 1800 sprach anschließend Dr. Christian Presche aus Kassel. In seinem Vortrag gab er Einblicke in die gesellschaftliche Stellung der jüdischen Bevölkerung in Kassel um 1800, die Gleichstellung im Königreich Westphalen, die Judenemanzipation in Kurhessen sowie die persönlichen Beziehungen der Brüder Grimm zu jüdischen Mitbürgern in Kassel. Dr. Philip Kraut vom Institut für Neuere deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin stellte exemplarische Inhalte zum Thema Jüdische Quellen im Werk der Brüder Grimm vor. In den untersuchten Quellen ließ sich die Beeinflussung durch eine Traditionslinie christlicher Judenfeindschaft wiederfinden, die auch den Mangel an hebräischen oder jiddischen Primärquellen erklären kann. Er betonte jedoch auch, dass es weiterer Forschung in diesem Feld bedarf.

Zur Rezeption des Grimm’schen Werks im frühen 20. Jahrhundert sprach zunächst Dr. Oliver Geister, Märchenpädagoge, Lehrbeauftragter an der Universität Münster zum Thema Zur pädagogischen Instrumentalisierung der ›Kinder- und Hausmärchen‹ im ›Dritten Reich‹. Zwischen antijüdischen Stereotypen und antisemitischer Vereinnahmung. Darin ging er auf die Judenfiguren in den Grimm’schen Märchen ein, die Instrumentalisierung der Märchenstoffe durch NS-Ideologen sowie die Wirkung dieser ideologischen Aneignungen bis in unsere Gegenwart hinein. Daran anknüpfend gab Prof. Dr. Holger Ehrhardt in seinem Vortrag Antisemitische Grimm-Forschung zur Zeit des Nationalsozialismus: Wilhelm Schoof Einblicke in die ideologische Instrumentalisierung der Brüder Grimm und ihres Werkes durch die Forschung. Anhand einer Recherche von Zeitungsbeiträgen des auch nach der NS-Zeit weiter bedeutenden Grimm-Forscher Wilhelm Schoof wurde hier eine zunehmende antisemitische Radikalisierung Schoofs ab Ende der 1930-er Jahre nachgewiesen und verdeutlicht. Prof. Dr. Eliza Pieciul-Karminska vom Institut für Angewandte Linguistik der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań, Polen, referierte Zur polnischen Rezeption der KHM als nationalsozialistische Literatur. Sie zeigte die wechselvolle Rezeptionsgeschichte der Kinder- und Hausmärchen in Polen auf und erläuterte, warum die Grimm’schen Märchen lange als Symbol der Unterdrückung deutscher Besatzer galten und später von der sowjetischen Staatsführung als Propagandamittel gegen die Deutschen verwendet wurden. Der anschließende Beitrag lautete Zwischen Romantik und Radikalisierung: Antisemitismus/Antijudaismus in der deutschen Romantik und die Vereinnahmung von »Rumpelstilzchen» durch die US-amerikanische Rechte. Darin erläuterte Prof. Dr. Claudia Schwabe, die Germanistik an der US-amerikanischen Utah State University lehrt, die Lesart unterschiedlichster Vertreter*innen, die im Märchen Rumpelstilzchen antisemitische Stereotype vertreten sehen und zeigte die Rolle verschiedener Internetplattformen in diesem Kontext auf. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die antisemitisch-rassistische Aufladung von Märchenfiguren nicht in der Zeit der Romantik begründet ist, sondern frühestens im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhunderts zu verorten ist. Einen Blick auf die Rezeption der Grimm´schen Märchen in Japan warf Prof. Dr. Hiroko Nishiguchi von der Waseda University in Tokyo, Japan. In ihrem Vortrag mit dem Titel Negative Judenbilder in der japanischen Rezeption der KHM im frühen 20. Jahrhundert (1910–1945) erläuterte sie beispielsweise, wie in japanischen Übersetzungen der Grimm-Märchen judenfeindliche Interpretation und Erklärung hinzugefügt wurden und welche Rolle Illustrationen spielten.

Einen Einblick zum Umgang mit dem Thema Judenfeindlichkeit in der musealen Praxis gaben Jan Sauerwald, Geschäftsführer und Programmleiter der GRIMMWELT Kassel, und Ute Lilly Mohnberg, Bereich Ausstellungen in der GRIMMWELT. In ihrem Beitrag Der biographische Teil der Dauerausstellung der GRIMMWELT und die Perspektiven auf zukünftige Änderungen zeigten sie auf, welche Formen der Darstellung und Vermittlung der Thematik im Ausstellungskontext möglich wären und welche Herausforderungen dabei bestehen. Im letzten Vortrag mit dem Titel Lauter Kinder ihrer Zeit. Zur Auseinandersetzung mit (romantischem) Antisemitismus in Literaturausstellungen befasste sich Dr. Nike Thurn, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Historischen Museum Berlin, mit dem aktuellen Umgang bzw. Nichtumgang mit dem Thema Antisemitismus in Ausstellungshäusern mit literarischem Schwerpunkt, den Gründen hierfür und zeigte Perspektiven für die Zukunft auf.

Die Tagung sollte einer ersten wissenschaftlichen Einordnung der Fragestellung dienen, wie Jakob und Wilhelm Grimm zum Judentum standen, und diese vor dem Hintergrund des Antijudaismus der Romantik beleuchten.

Auch die Auseinandersetzung von Ausstellungs- und Literaturhäusern mit dem Thema Antijudaismus und Antisemitismus wurde untersucht, dies auch vor dem Hintergrund der Frage, welche praktischen Auswirkungen dies auf Programme und Ausstellung hat und haben wird.

Im Anschluss an die Tagung ist die Veröffentlichung eines Tagungsbandes geplant.