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Ein Gruppe von Menschen wird durch die Ausstellung geführt.

Tomorrow | 03.00 pm

Die GRIMMWELT von A-Z

Permanent Exhibition

Mother and child look at fairy tale books in the "Folk tales" section.

GRIMMWELT adventure space

Experience fairy tale collectors and linguists Jacob and Wilhelm Grimm in this fascinating world of knowledge and discovery.

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10 Jahre GRIMMWELT

Ein Märchen wird Wirklichkeit

Bevor die GRIMMWELT gebaut werden konnte und zu einem der beliebtesten Orte Kassels wurde, gab es einige, die sich sorgten, in der Stadt bald keine Luft mehr zum Atmen zu haben. Denn um dem Neubau Platz zu schaffen, muessten auf dem Weinberg, wo einst die Henschelvilla stand, 16 alte Bäume gefällt werden. Es wurde sogar ein Bürgerbegehren gegen den Bau initiiert, das aber vom Kasseler Verwaltungsgericht als unzulässig beschieden wurde. Der »Kahlschlag« im Henschelpark, von dem ein Leser in der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen damals schrieb, verschlug so manchen »schier den Atem«, wie es eine andere Leserin ausdrückte.

Aber dann ist es mit der GRIMMWELT genau so gekommen, wie in den Märchen der Brüder Grimm: Am Ende wird immer alles gut. Schon am Eröffnungswochenende Anfang September 2015 kamen 15.000 Menschen, um das neue, dem Wirken und Leben der Brüder Grimm gewidmete Ausstellungshaus zu besuchen. Heute, zehn Jahre nach der Eröffnung, ist das Haus längst ein fester Bestandteil der Kulturlandschaft der Stadt und fügt sich so organisch in den historischen Weinberg ein, dass man sich die Parklandschaft ohne das Gebäude kaum noch vorstellen kann - und sicher selbst die Kritiker*innen von einst den atemberaubenden Ausblick vom Dach des Hauses genießen.

Auch die nationale und internationale Presse reagierte positiv auf das neue Ausstellungshaus: Im Deutschlandfunk hieß es: »Zur Eröffnung können sich die Kasseler glücklich schätzen, dass sie den Bau der GRIMMWELT nicht verhindert haben. Denn die Ausstellung zum vielschichtigen Werk der Grimms ist ein neues Glanzstück in der Museumslandschaft der Stadt − architektonisch wie konzeptionell.« Die britische Zeitung The Guardian erklärte die GRIMMWELT im Dezember 2015 sogar zu den ›Ten of the best New Museums‹.

»Das Konzept der GRIMMWELT war überraschend, weil es ganz neue Ansätze geliefert hat«, sagt Jan Sauerwald, seit 2022 Geschäftsführer und Programmleiter der GRIMMWELT.
Denn es ist ein Ausstellungshaus eines neuen Typus. Hier stehen die Besucher im Mittelpunkt, es gibt keine eigene Sammlung, und die Ausstellung ist erlebnisorientiert aufgebaut. Die GRIMMWELT war eines der ersten Häuser, die diesen Ansatz umgesetzt haben. »Heute gibt es viele solcher Museen, vor zehn Jahren gab es das nicht in der Menge«, erläutert Sauerwald. Weil die GRIMMWELT in vielerlei Hinsicht Vorreiterin war, kommen heute Museumsmacher*innen aus ganz Europa zu Besuch nach Kassel, um sich das Konzept vor Ort anzuschauen.

Vor allem geht es um die Sichtbarmachung der Arbeitsprozesse, sagt Sauerwald: »Uns interessiert nicht so sehr, darzustellen, wie das Arbeitszimmer der Grimms im Detail aussah, wir nutzen in der Dauerausstellung lieber den Aufbau des Deutschen Wörterbuches zur Vermittlung und lassen die Besucher*innen sozusagen im Lexikon stöbern.« So fängt der Rundgang auf der oberen Etage des Hauses bei Z wie ZETTEL an, auf jener Ebene, die die wissenschaftliche Arbeit der Brüder Grimm vorstellt und wie ein aufgeklapptes Buch aufgebaut ist. Man taucht damit direkt ein in die akribische Arbeitsweise der Brüder Grimm. Denn alles wurde von Jacob und Wilhelm Grimm und ihren Mitarbeitern notiert und aufgeschrieben, meist auf kleinen Zetteln. Diese Arbeit wird zu einem ihrer größten Werke führen: dem »Deutschen Wörterbuch«. Allein für den Begriff ›ZETTEL‹ gibt es 1119 Zettel, die als große Wandinstallation in der GRIMMWELT ausgestellt sind.

Die großzügigen und flexiblen Ausstellungsflächen in der GRIMMWELT bieten ausreichend Platz, um das Werk der Brüder Grimm in seiner ganzen Vielfalt zu präsentieren, über 1200 Quadratmeter stehen für die Dauerausstellungen zur Verfügung, im ersten Stock befinden sich noch einmal 330 Quadratmeter Fläche für Sonderausstellungen. Mehr als 920.000 Besucher*innen kamen seit der Eröffnung 2015 ins Haus (vor Veröffentlichung des Textes aktualisieren). Rund ein Drittel sind Familien, Kinder und Jugendliche, die mit ihren Klassen zu Gast sind, machen über 12 Prozent der Besuchenden aus. Somit hat sich die Hoffnung erfüllt, die der damalige Kasseler Oberbürgermeister Bertram Hilgen beim Spatenstich für den Neubau aussprach, die GRIMMWELT zu einem Ort zu machen, der für Familien, Schulklassen, Kulturtouristen und Literaturfans gleichermaßen attraktiv ist.

Es sei immer ein Spagat, sagt Jan Sauerwald, weil es in der GRIMMWELT natürlich darum geht, die Sprachwissenschaft sowie das Leben und Werk der auch politisch wirksamen Germanisten Jacob und Wilhelm Grimm sichtbar und begreifbar zu machen, und »trotzdem spielen die Märchen natürlich eine große Rolle und viele kommen wegen diesen«.

Man kann sich zum Beispiel in die Zettelwirtschaft der Grimms vertiefen oder in ihre Korrespondenz mit den 1400 Briefpartnern in ganz Europa, sollte aber auch die weiteren Höhepunkte der Dauerausstellung auf dieser der wissenschaftlichen Arbeit gewidmeten Etage nicht verpassen. Da wären zum einen die ersten Handexemplare der »Kinder- und Hausmärchen«, darunter die Erstausgabe von 1812/1815. Sie sind heute der größte Schatz der GRIMMWELT. Hinter Glas kann man sie dort bewundern und sehen, wie die Brüder Grimm arbeiteten. Die fünf Bände haben in Teilen extra breite, unbedruckte Ränder, auf denen handschriftliche Notizen und Korrekturen von Jacob und Wilhelm Grimm zu sehen sind. Seit 2005 gehören diese Ausgaben zum UNESCO-Weltdokumentenerbe »Memory of the World«. Zum Jubiläum wurde die Präsentation um einen Medientisch ergänzt, der die Arbeit der Brüder Grimm an den Hausmärchen interaktiv erlebbar macht.
Ein weiterer Höhepunkt ist voll poetischer Kraft. Der Künstler Alexej Tchernyi hat 2015 zur Eröffnung der GRIMMWELT 14 Dioramen geschaffen, in denen er die Geschichte der Entstehung des »Deutschen Wörterbuchs« erzählt. Es sind faszinierende, dreidimensionale Papierkunstwerke entstanden, die durch Licht und Schatten einen Zauber entfalten, dem man sich nicht entziehen kann.

Familien und Kinder kommen besonders in der unteren Etage der Dauerausstellung auf ihre Kosten. Hier taucht man ein in die Märchenwelt, und besonders hier steht der erlebnisorientierte Ansatz und das Interaktive im Fokus. Etwa in dem Bereich: „Erzählen, Hören“, in dem in 28 Sprachen und Dialekten und auf sechs Monitoren das Märchen »Rumpelstilzchen« erzählt wird, von Jungen und Alten, Schauspieler*innen und Kasseler Bürger*innen. Die Videoinstallation zeigt eindrücklich, wie international die Rezeption der Märchen der Grimm’s ist, und dass man sich auch in Spanien, Ägypten und Japan die Kinder- und Hausmärchen erzählt und liest.

Vermittlung und Integration spielten von Anfang an in der GRIMMWELT eine wichtige Rolle. Das Projekt »Unboxing - Erzähl mir Deine Geschichte/n«, aus dem 2017, das als Ausstellung über das Ankommen von Geflüchteten in Deutschland und das gegenseitige Kennenlernen entstand, ist ein Beispiel dafür. Julia Ronge, damals Projektassistenz des Integrationsprojekts und heute Leiterin der Vermittlung in der GRIMMWELT, betont, wie wichtig der kooperative Aspekt des Projekts war, das über zweieinhalb Jahre lief und durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert wurde: »Es war ein wichtiges Projekt, weil wir mit ganz vielen Vereinen aus der Stadt zusammengearbeitet haben.« Die Öffnung zur Stadtgesellschaft und die Kooperation mit Institutionen und Vereinen, wie zum Beispiel der Stadtbibliothek, der Kunsthochschule Kassel und Raamwerk, ist bis heute ein integraler Bestandteil der Arbeit der GRIMMWELT.

Aber auch in der jüngeren Vergangenheit haben Sonderausstellungen immer wieder ihre Spuren in der GRIMMWELT hinterlassen. So wurde als ein permanentes Element der Ausstellung »unMÖGLICH? Die Magie der Wünsche« das GRIMMAtelier initiiert, in dem die Besucher kreativ werden können und ihre eigenen Wünsche visualisieren konnten. »Das GRIMMAtelier ist als Teil der Ausstellung gekommen und geblieben«, erläutert Julia Ronge. Bis heute ist es kostenlos im zweiten Stock der GRIMMWELT für alle Interessierten zugänglich. Somit wurde ein sogenannter »Dritter Ort« geschaffen, den die Soziologie als Ort der Gemeinschaft beschreibt, die einen Ausgleich zu Familie und Beruf bieten soll. In Analogie zum Zuhause als „erstem Ort“ und der Arbeitsstätte als „zweitem Ort“ hält man sich am dritten Ort gern auf.

Das museale Konzept des Betrachtens von Objekten in Vitrinen wurde bei der bisher erfolgreichsten Sonderausstellung in der Geschichte der GRIMMWELT auf den Kopf gestellt: Fast alle ausgestellten Objekte durften angefasst und in Bewegung versetzt werden. Das IMAGINARIUM der Brüder Forman und ihrer Freunde besuchten 2024 in fünf Monaten über 35.000 Gäste. Die fantastische, komplett analoge Welt aus Holzfiguren, Marionetten und begehbaren Theaterkulissen verwandelte sich »in einen Spielplatz für Spielwütige und Experimentierfreudige - für Kinder sowie Erwachsene«, wie Geschäftsführer Jan Sauerwald im Ausstellungskatalog zu dem Projekt schrieb.
Ein Kontrastprogramm zu dieser bunten Theaterwelt lieferte 2023 die Sonderausstellung »Akte Rumpelstilzchen - Eine Spurensuche in Märchen und Recht«, die zeigte, wie man das eher für Juristen geeignete Thema der mittelalterliche Rechtsprechung niedrigschwellig und faszinierend vermitteln und aufarbeiten kann.

Weiterhin besuchen pro Jahr bis zu 74.000 Besucher*innen das Haus - und sicher viele tausende Ungezählter mehr das öffentliche Café, den Biergarten im Sommer mit Blick über die Südstadt oder das Dach. »Das Haus funktioniert wie ein Sockel für die Stadtgesellschaft«, sagt Jan Sauerwald, »weil das Dach eine begehbare Skulptur ist.« Man kann dort entspannen, Yoga machen, auch unzählige Hochzeitsfotos sind hier entstanden. Neuerdings steht hier während der Öffnungszeiten des Hauses auch eine Tischtennisplatte: GRIMMpong nennt sich das. An der Kasse kann man sich Schläger und Bälle ausleihen, auf denen Grimm’sche Wörter wie »Ballade« aus dem Wörterbuch stehen.

Kurz: Hier hält man sich gerne auf - also der perfekte »Dritte Ort«, womit die GRIMMWELT ganz natürlich und organisch zu einem der beliebtesten Orte der Stadt geworden ist.
Das will gefeiert werden. Eine ganz besondere Öffnung und Auseinandersetzung mit der Stadt und den Besucher*innen der GRIMMWELT wird es deshalb am Jubiläumswochenende geben.

Denn wenn die GRIMMWELT am 4. September zehn Jahre alt wird, wird das natürlich groß gefeiert, und zwar mit der ganzen Stadt drei Tage lang bis zur Museumsnacht am 6. September. Höhepunkt der Feier und des gesamten Jubiläumsjahres wird ein Kunstprojekt sein, bei dem das Publikum aktiv im Mittelpunkt steht: Das »Inside Out Project« ist ein weltweit stattfindendes, partizipatives Projekt, das von dem französischen Künstler und Fotografen JR initiiert wurde und vom 4. bis 6. September unter dem Motto »GRIMMWELT-Utopia« in die GRIMMWELT Kassel kommt. »Mit dem Kunstprojekt ›Inside Out‹ in der GRIMMWELT geben wir allen Teilnehmer*innen die Möglichkeit, in fotografischen Großportraits selber für einige Wochen auf der Fassade des Hauses zu erscheinen und Teil der Ausstellung im Haus zu werden. Zusätzlich dazu können Wünsche und Ideen für die Zukunft der GRIMMWELT geäußert werden - wir erhoffen uns dadurch, noch mehr zu einem Ort für die gesamte Stadtgesellschaft zu werden«, sagt Jan Sauerwald.

So tritt das Haus auf dem Weinberg einmal mehr in den Austausch mit der Stadt und seinen Besucher*innen und lädt dazu ein, es zu seinem Lieblingsort zu machen.


Amira El Ahl